Vor 500 Jahren: Tod eines Kriegsunternehmers – Franz von Sickingens letztes Spiel 1522/23

Veröffentlicht am 30. Mai 2023 Historisches Schlaglicht
Hieronymus Hopfer: Franciscus von Sickingen, Eisenradierung 1520/21 (Repro: IPGV)

Wiewoll mich die Stein ain wenig geschlagen, schatt es mir doch nichts.[1] Diese Worte, die Franz von Sickingen am 2. Mai 1523 an seinen Vertrauten Balthasar Schlör schreibt, sind reiner Zweckoptimismus. Der Ritter liegt bereits schwer verwundet auf dem Sterbelager, während der feindliche Beschuss seine Burg Nanstein oberhalb Landstuhls immer weiter durchsiebt. Vielleicht hat er die selbstverschuldete Katastrophe, die ihn im letzten Dreivierteljahr ereilt hat, selbst jetzt immer noch nicht begriffen. In den seinem Tod folgenden 500 Jahren gerät der Adlige letztlich zu einer der legendärsten Gestalten der frühneuzeitlichen Pfälzer Geschichte, die gleichzeitig aber auch immer wieder überhöht und im jeweiligen Zeitkontext instrumentalisiert werden wird: als einer der „letzten Ritter“ ohne Furcht und Tadel, Bühnenfigur, Sozialrevolutionär oder „Vorkämpfer deutscher Einheit und Größe“.[2] Kann aus geschichtswissenschaftlicher Sicht gerade vor letzterer Charakterisierung nur gewarnt werden, lässt sich das nur 42 Jahre dauernde turbulente Leben des Kriegsunternehmers Sickingen aber heute zumindest als filmreif bezeichnen.

Erste Lebensphase in einer Umbruchszeit

Franz reift in einer Epoche zum Mann heran, die für die Reichsritterschaft spätestens seit dem 15. Jahrhundert mit einer fundamentalen Krise ihres sozialen Status einhergeht. Mit dem Aufkommen der Söldnerheere und der steten Weiterentwicklung Burgmauern brechender Artillerie ist die traditionelle militärische Funktion des Ritters auf dem Schlachtfeld bedeutungslos geworden. Dazu stehen nicht alle, aber doch viele Niederadlige vor existentiellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Die Abgaben aus ihren Gütern und Rechten werden zunehmend von Naturalien auf Geld umgestellt, wodurch die Anfälligkeit gegenüber Preisschwankungen wächst. Die Städte als aufstrebende Wirtschaftszentren sorgen in Sachen Handel für zusätzliche Konkurrenz. Erhebliches Konfliktpotential existiert auch beim Rechtsstatus der Ritter: Zwar ist ihnen der Zusammenschluss zu Ritterbünden mittlerweile erlaubt. Im Reichstag verfügten sie im Gegensatz zu Fürsten und Städten jedoch über keine Reichsstandschaft und damit Stimme. Zudem bringen die sogenannten Reichsreformen – allen voran auf dem Wormser Reichstag 1495 – gravierende Veränderungen mit sich: das mittelalterliche Fehderecht wird im Rahmen des Ewigen Landfriedens verboten, die bisherige Steuerfreiheit mit dem reichsweiten Erlass des Gemeinen Pfennigs aufgehoben und Rechtsstreitigkeiten sind künftig an den Instanzenweg des neugegründeten Reichskammergerichts verwiesen. Die wohl schwerste Bedrohung niederadliger Autonomie geht schließlich von der Expansion landesfürstlicher Staatlichkeit aus. Franz von Sickingen, der am 1. März 1481 auf der Ebernburg bei Kreuznach geboren wird, ist allerdings kein „armer Ritter“ – im Gegenteil ist seine Familie wohlhabend. Das frühere Ministerialengeschlecht stammt ursprünglich aus dem Kraichgau, im 15. Jahrhundert gewinnt seine Lehensbeziehung zur Kurpfalz an politischer Bedeutung. Zur gleichen Zeit erwirbt man durch geschickte Heiratspolitik – hier besonders durch die Ehe von Franzens Vater Schweikard VIII. von Sickingen mit seiner begüterten Mutter Margarethe Puller von Hohenburg – linksrheinischen Landbesitz. Der schlägt sich in Besitzanteilen u.a. der Ebernburg, des Nansteins bei Landstuhl oder der Hohenburg im Elsass nieder. Schweikard, kurpfälzischer Hofmeister und Kreuznacher Amtmann, ist derart vermögend, dass er seinem Kurfürsten erhebliche Kredite bewilligen kann. Hierzu tragen nicht zuletzt seine lukrativen Bergwerksbeteiligungen u.a. am Rheingrafenstein bei. Über Franzens Jugend ist wenig bekannt: Er besucht mit dem Vater den Wormser Reichstag 1495 und heiratet 1498/99 Hedwig von Flersheim. Aus der offenbar glücklichen Ehe entspringen drei Töchter und drei Söhne. 1505 übernimmt Franz als alleiniger Erbe die väterliche Herrschaft und damit auch die Amtmannsposition in Kreuznach. Er bemüht sich in den Folgejahren, sowohl den Stammsitz Ebernburg als auch den Nanstein bei Landstuhl auszubauen und neue Besitzungen zu erwerben. Ende 1514 verkauft er seine Kupfermine am Rheingrafenstein allerdings für 3.200 Gulden. Es ist nicht völlig abwegig, diese Besitzstandsmehrung und Kapitalgenerierung bereits als Vorbereitung seines anlaufenden ersten Großunternehmens zu sehen. Dass Hedwig 1515 im Kindbett stirbt – was ihn offenkundig derart trifft, dass er nie wieder heiraten wird – mag Sickingen bestärken, seine Pläne noch kompromissloser zu verfolgen.

Geschäftsmodell Fehdeführung 1515 bis 1521: Sickingens Aufstieg

Die Fehden, mit denen sich der Kriegsunternehmer Sickingen nun in wenigen Jahren einen Namen im Reich macht und die er zum veritablen Geschäftsmodell entwickelt, laufen letztlich alle nach demselben Schema ab: Er ergreift in Streitfällen für Dritte Partei – wie etwa der aus Worms verjagte bischöfliche Notar Schlör – und macht sich dann deren Forderungen, es seien Schulden, Erbansprüche oder Ehrenhändel, zu eigen. Damit einher geht stets eine beachtliche „Entschädigungsforderung“ für den eigenen Aufwand. Bei Ablehnung der Forderungen müsse er, so Franz drohend, dann sehen, wie ich vonn Vch vnnd den uwern sollicher schuldenn Betzalung vnnd erstatung der billikeyt bekom.[3] Das vorgebliche Motiv der ritterlichen Verteidigung verletzter Rechte tritt hierbei stets hinter harten finanziellen und taktischen Interessen zurück. Skrupellosigkeit und das Talent, schnell beachtliche Truppenaufgebote zu rekrutieren, kommen dem Söldnerführer dabei ebenso zupass wie er kurzfristig – im Vertrauen auf die Duldung mächtiger Gönner – das verworrene Interessengeflecht zwischen Kaisertum, Reichsfürsten und Städten auszunutzen vermag. Zu alldem addieren sich noch Kriegshandlungen zwischen europäischen Herrscherhäusern. Ende März 1515 eröffnet der Ritter eine Fehde mit der Stadt Worms durch die Kaperung eines ihrer Kaufmannsschiffe. Für diesen Landfriedensbruch am 16. April von Kaiser Maximilian I. mit der Reichsacht belegt, belagert Franz davon völlig unbeeindruckt mit 7.100 Männern die Reichsstadt. Denn der Kaiser führt in Oberitalien Krieg gegen Frankreich und viele Reichsstände bleiben auch deshalb passiv. Zwar kann Worms nicht gestürmt werden, erleidet durch die Verwüstung seines Umlands aber massive wirtschaftliche Verluste. Die hier zunächst ausbleibenden Einnahmen sucht Sickingen im Mai 1516 dann auf dem französischen Kriegsschauplatz, als er auf kaiserlichen Befehl an der Invasion des Herzogtums Lothringen teilnimmt. Zwar gelingt auch hier kein militärischer Durchbruch, jedoch ist Herzog Anton zur Vermeidung weiterer Zerstörung seines Landes rasch um Einigung bemüht. Weil Sickingen im Reich noch immer geächtet ist, schließt er pragmatisch zuerst einen Soldvertrag mit dem Herzog und dann einen mit König Franz I. von Frankreich ab. Im Frühjahr 1517 eskaliert er dazu die Lage im Pfälzer Raum erneut, indem er bei Weisenau einen Kaufmannszug überfällt und im Mai auch noch vor Landaus Toren plündert. Dass u.a. Nürnberger Mitglieder besagten Kaufmannszugs Bürger des mächtigen Schwäbischen Bundes sind, der nun zuerst Kurfürst Ludwig V. als Lehensherrn Sickingens ins Visier nimmt, sorgt zwischen den beiden für eine erste Trübung ihres Verhältnisses. Immerhin musste sich der Ritter bislang auf die Duldsamkeit des Kurfürsten verlassen. Nun macht ihm Ludwig aber unmissverständlich klar, ihn für mögliche Schadensersatzforderungen persönlich haften zu lassen. In dieser prekären Lage kommen Franz geänderte Prioritäten der Reichspolitik zugute. Zwar muss er sich im Juni 1517 auf dem Mainzer Reichstag noch für seine Taten rechtfertigen. Doch dem Kaiser ist die Neutralisierung einer anderen Gefahr inzwischen wichtiger: Franzens militärische Schlagkraft soll ihm in einem geplanten Feldzug gegen den rebellischen Herzog Ulrich von Württemberg nutzen. Sickingen willigt in den Handel gerne ein, infolgedessen entlässt ihn der Kaiser aus der Acht und nimmt ihn in seine Dienste auf. Wie sicher sich Sickingen angesichts der Verständigung mit Maximilian fühlt, zeigen gleich drei Fehden, die er 1518 führt und die ganz im Zeichen des Profits stehen. Metz belagert er im August mit einem Großaufgebot, nach einwöchiger Beschießung willigt der Rat in die Zahlung von 25.000 Gulden ein. Weiter geht es mit der krisengeschüttelten Landgrafschaft Hessen: Dort „vertritt“ er u.a. Ansprüche des opponierenden Niederadels, welcher die Regentschaft des erst dreizehnjährigen Landgrafen Philipp nicht anerkennt. So hat der Fehdeführer leichtes Spiel: Im September erobert er Darmstadt, seine Streifscharen erpressen allein im Umland eine Kontribution von über 14.800 Gulden. Per Vertrag sieht sich Philipp gezwungen, sämtliche, tief in seine landesherrliche Souveränität eingreifenden Forderungen zu erfüllen. Diese Erniedrigung wird ihn ab jetzt zu Sickingens eingeschworenem Feind machen. Noch am Tag des Darmstädter Vertrages erfolgt die Fehdeerklärung an die Stadt Frankfurt. Deren Stadtrat lenkt indes schnell ein, man einigt sich auf eine Zahlung von 4.000 Gulden. Was das Präzedenz gerade der hessische Fehde für die übrigen Fürsten bedeutet, hatte auf dem Augsburger Reichstag 1518 ein dritter künftiger Feind Sickingens so klar den Punkt gebracht, dass er sich sofort des Ritters Hass zuzog. Der Trierer Erzbischof und Kurfürst Richard von Greiffenklau zu Vollraths warnte, es wehre je zuvil von Franntzen furgenommen, also dann die stett, dann die fursten, je einen nach dem anndern furzunemmen; es stunde den grossen herrn, chur- und fursten zu bedennckhen, was zuletzt aus dem werden wöl […] auch wo man ime gefölget, das man etwas ernstlicher gegen ime, Franntzen solt gehanndlet haben.[4] 

 

An Sickingens Aufstieg ändert der Tod Kaiser Maximilians im Januar 1519 zunächst nichts. Dessen zur Königswahl stehender Enkel Karl von Spanien setzt wegen des militärischen Nimbus des Heerführers die bisherige Politik fort. Der zuvor mit dem Schwäbischen Bund geführte Feldzug gegen den Herzog von Württemberg erweist sich zudem als militärischer Spaziergang und höchst einträglich. Dort lernt Franz auch seinen Freund, den Ritter und Humanisten Ulrich von Hutten kennen. Den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht Sickingen im Juni 1519, als während der Frankfurter Königswahl gleich zwei Großmächte – Frankreich und Habsburg – um ihn werben. Er entscheidet sich für den Kaiser. Da eine französische Intervention auf die Wahl befürchtet wird, beteiligen sich seine Truppen bei Höchst an deren „Sicherung“. Die klare Drohkulisse verfehlt ihre Wirkung auf das Kurfürstenkolleg nicht: Der neugewählte König und Kaiser heißt Karl V. und ernennt am 23. Oktober 1519 Sickingen zum habsburgischen Rat und Hauptmann. Um die Beziehung zu seinem neuen Herrn zu stärken, gibt Franz Karl bald darauf einen Kredit von 20.000 Gulden ohne Zins und Bürgschaft. Dies rächt sich bereits im August 1521 bitter: Auf kaiserlichen Befehl beginnt er unter üblicher Vorstreckung der Anwerbekosten erneut einen großangelegten französischen Kriegszug, doch die Kampagne scheitert letztlich vor der Festung Mezières. Sickingen tritt gedemütigt den Rückzug an, seine Kriegskasse hat nun ein Loch von insgesamt 96.000 Gulden und Karl V. wird seine Schulden nicht zeitnah begleichen.

Matthäus Merian d. Ä.: Trier ca. 1548, Kupferstich, aus: Topographia Archiepiscopatum Moguntinensis, Trevirensis et Coloniensis, 2. Ausg. Frankfurt a. M. 1675 (Heinrich und Anny Nolte Stiftung, Universitätsbibliothek Trier; Matthaeus Merians Erben Verleger, CC BY-SA Universitätsbibliothek Trier)

 

Voller Einsatz! Die Trierer Fehde 1522/23

Die Finanznot ist dementsprechend ein gewichtiger Grund für den Kriegsunternehmer nun in seine größte und letzte Fehde gegen Trier zu ziehen. Diese wird von Freund Hutten zwar begleitend als „Pfaffenkrieg“ propagiert, dient aber in erster Linie der finanziellen Gesundung und politischen Machtsicherung. Das in der älteren Forschung angegebene Hauptziel der gewaltsamen Reformation und Säkularisierung des geistlichen Kurfürstentums ist ob rarer, ambivalenter Äußerungen des Ritters zumindest diskussionswürdig. Dieser Befund schließt jedoch ideologische „Mitnahmeeffekte“ für den reformatorischen Ideen anhängenden Sickingen nicht aus, der die Glaubensfrage öffentlich nur zu gerne instrumentalisiert. Mit dem nun beginnenden Feldzug verschätzt er sich aber in mehrerlei Hinsicht fatal: Anstelle überrumpelter, militärisch schlecht ausgerüsteter Städte steht ihm eine spätestens auf dem Wormser Reichstag gefestigte Fürstenkoalition gegenüber: Kurtrier, Hessen und Kurpfalz, der der einstige Vasall nun endgültig etwas zu mächtig geworden ist. Sickingen selbst ist zwar im August 1522 in Landau zum Hauptmann der „Brüderlichen Vereinigung“ der Rheinischen Ritterschaft gewählt worden. Doch hat dieser sechsjährige Bund eher defensiven Charakter und dient allenfalls als flankierende, nicht offensive Maßnahme. Berater Schlör warnt ihn eindringlich vor dem riskanten Unternehmen u.a. argumentierend, alle Fürsten würden sich gegen ihn verbünden und seine Burgen seien nicht belagerungsfest. Doch Franz von Sickingen ist entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen und vielleicht eine fürstengleiche Stellung im Reich zu erringen. Dass Richard von Greiffenklau Frankreich zuneigt und von diesem bei der Königswahl Geld genommen hat, lässt ihn zudem glauben, dem Kaiser einen Dienst zu tun. Am 29. August 1522 erhält der Erzbischof den Fehdebrief: Der vordergründige Anlass ist die nichterfolgte Erstattung von 5.000 Gulden Löse- und 150 Gulden Logisgeld, die Sickingen für die Befreiung der beiden Trierer Bürger Jakob von Kröv und Richard von Seenheim aus dem Kerker des Ritters Heinrich von Tann gezahlt hat. Unbekümmert von der strikten Anweisung des Reichskammergerichts, sein Vorgehen sofort einzustellen, bricht Franz mit 1.500 Reitern und 5.000 Mann nach Westen auf. Sein Heer nimmt am 30./31. August die Amtsstadt Blieskastel ein, am 2. September lässt er St. Wendel umzingeln und beschießen. Die Stadt fällt am Folgetag. Allerdings läuft der Auf- und Vormarsch der zersplitterten, aus dem ganzen Reichsgebiet geworbenen Truppen viel zu langsam, das Überraschungsmoment ist damit von Anfang an verschenkt. Kurfürst Richard hat sich dagegen generalstabsmäßig vorbereitet und aus allen Ämtern Einheiten zusammengezogen. Er übernimmt unerbittlich das Kommando in der Stadt und schweißt die Trierer so nolens volens zusammen. Die Bürgerschaft wird versammelt und die Stadtmauer in fünf Verteidigungszonen unterteilt. Am 8. September ziehen Sickingens Truppen die Pellinger Höhe herunter. Nachdem der Kurfürst die Übergabe der Stadt verweigert hat, beginnt tags darauf der Beschuss von St. Maximin. Jedoch halten die Verteidiger effektiv dagegen, und Franz gelingt es in den Folgetagen trotz Positionswechseln, größerer Artilleriezerstörung und Brandpfeilen nicht, den Willen der Trierer zu brechen. Zunehmend verzweifelt, versucht er es mit Propaganda. In die Stadt geschossene Pfeilbriefe verkünden, er sei nicht wegen libs bluts ader guts der Bürger hier, aber gegen des Bischoffs und aller inwonender pfaffen und monich habe und gueter mit min willen und hand fri vurbehalten.[5] Für einen angedrohten Sturm der Stadt bleiben jedoch weder genug Landsknechte, Munition noch Geld. Die erhofften Hilfstruppen fallen aus, dagegen marschieren die Kontingente von Hessen und Kurpfalz bereits. So sieht der Fehdeführer sich gezwungen, am 14. September mit fliegenden Fahnen abzuziehen. Von Trier geht es moselaufwärts nach Fell, über Burg Hunolstein nach Blieskastel, dessen Eroberung erneut scheitert. Nachsetzende kurtrierische Verbände nehmen schließlich am 24. September St. Wendel wieder unzerstört in Besitz. Währenddessen ist Sickingen schon zur Ebernburg weitergezogen.

Burg Nanstein, Luftaufnahme von Westen (Foto: Manfred Czerwinski 2004, IPGV Fotoslg.)

 

Nach diesem Desaster ist für ihn auf Reichsebene das mühsam angesammelte politische Kapital passé: Am 10. Oktober 1522 verhängt das Reichsregiment zum zweiten Mal die Acht, vermag aber im Gegenzug die Fürstenkoalition auch nicht zur Mäßigung bewegen. Liefert sich Sickingen mit kurfürstlichen Truppen unbedeutende Scharmützel, scheitern seine Versuche letztlich, zuerst die fränkische Ritterschaft und ausgerechnet die von ihm so oft bedrohten Städte auf seine Seite zu ziehen. Im April 1523 ist schließlich ein neuer Feldzug möglich – an die 3.000 Mann Koalitionstruppen vereinigen sich bei Kreuznach. Am 24. April trifft das Hauptaufgebot am Nanstein ein, erste Vorhuten haben die Burg bereits umzingelt und Schanzen errichtet. Kurz darauf beginnt der Kampf, Reichsherold und Augenzeuge Caspar Sturm schreibt: Vff Durnstag den XXX. Aprilis seyn usser der dreyer Kriegsfürsten lägern vnd schantzen in das schloß Nanstal so vil grausamlicher schöß geschehen mit Hauptstücken/ Scharpffe Metzen, Carthaune und Notschlangen etc. als ohn zweyffel in disen landen nit mer gehört oder geschehen ist/ vnnd sich auch solch schiessens mengklich verwundert hat.[6] Franz verlässt sich ganz auf seine Bastionen: Nanstein liegt als Höhenburg auf dem westlichen Sporn eines Bergsattels oberhalb Landstuhls. Für feindliche Artillerie verwundbar ist sie vor allem von dem höheren Terrain des im Südosten gelegenen Herrenbergs. Deshalb hatte ihr Herr auch den dortigen Batterieturm mit sechs Meter dicken Mauern verstärken lassen. Fatalerweise ist das erst wenige Jahre alte Mauerwerk aber noch nicht von Wind und Wetter ausgehärtet. Bereits am ersten Tag treffen diesen Bereich über 600 Salven und zum Entsetzen des Besitzers kollabiert das Große Rondell schon nach einem halben Tag!

Belagerung der Burg Nanstein, Mai 1523, Kupferstich aus: Caspar Sturm: Bellum Sickinganum, das ist…, Josiæ Riheln, Straßburg 1626, Bl. 37. (Repro: IPGV)

Am 2. Mai inspiziert Sickingen mit einigen Getreuen die Schäden im Südbereich der Burg. In diesem Moment schlägt in ihrer unmittelbaren Nähe, wahrscheinlich durch eine Schießscharte, ein Geschoß ein und verwundet ihn schwer. Der wohl wahrscheinlichste Hergang: Beim Zerschmettern einer Palisade bohren sich einer oder mehrere Holzsplitter dem Ritter als Schrapnelle in die linke Seite. In einem sichereren Kellergewölbe wird der Schwerverletzte aufgebahrt. Zunächst gibt sich Franz noch demonstrativ ungebrochen, doch hält das Bombardement erbarmungslos an, dazu schwinden seine Kräfte. Schließlich sieht er sich am 6. Mai zur Kapitulation gezwungen, nach kurzer Verhandlung wird beschlossen, Nanstein zu übergeben. Am 7. Mai 1523 schließlich ziehen die drei Fürsten in die Burg ein und finden Sickingen in besagtem Gewölbe auf dem Totenbett. Es entspinnt sich ein kurzes Gespräch mit dem Sterbenden. In bitterer Bilanz sagt Franz, er hätte sich einen anderen Ausgang der Sache gewünscht und den Gegnern auch ihre Schäden erstattet. Als Erzbischof Richard ihn erregt fragt, warum er ihn mit Krieg überzogen habe, antwortet Franz von Sickingen zuletzt nur: da wer vil von zureden/ ein ander mal wollen wir davon reden/ nichts on ursach.[7] Nachdem die Fürsten sein Gemach verlassen haben, erhalten sie kurz darauf von dem entsandten Priester die Nachricht, der Ritter sei ohne Erteilung des Sakraments gestorben. Nach einem zeitgenössischen Bericht wird sein Leichnam bereits am 8. Mai in eine alte Kiste gezwängt und unter der Landstuhler St. Andreas-Kapelle begraben. Nach dem Fall Nansteins nimmt die Koalition auch andere Burgen Sickingens in den Blick. Am 10. Mai ergibt sich der Drachenfels, der nach dem Abzug der Besatzung niedergebrannt wird, ebenso geht es am 12. der Hohenburg und der Lützelburg. Am 26. Mai erreicht das Heer schließlich die Ebernburg, deren Übergabe zunächst verweigert wird. Daraufhin wird die Anlage bis zur finalen Kapitulation am 7. Juni sturmreif geschossen und nach der Plünderung ebenfalls gebrandschatzt. Der siegreichen Fürstenkoalition geht es zweifelsfrei darum, hier ein definitives Exempel zu statuieren. Darum soll es auch bis 1542 dauern, bis Sickingens Söhne endlich ihre alten Besitzungen wieder als kurpfälzisches Lehen zurückerhalten.

 

Christian Decker


[1]       Franz von Sickingen an Balthasar Schlör, Nanstein, 2, Mai 1523, GLAK Best. 77, Nr. 3669, hier zitiert bei Scholzen: Sickingen, S. 266.

[2]       Neugebauer: Nachwirkungen, S. 257.

[3]       Ernst Münch: Franz von Sickingens Thaten, Plane, Freunde und Ausgang, Bd. 3, Stuttgart 1827, Nr. 2, S. 2, hier zitiert bei Scholzen: Sickingen, S. 55.    

[4]       Flersheimer Chronik, S. 71.

[5]       Johann Flade: Wie Franz von Sickingen […] diese Stadt Trier belegert hat in Septembri des Jars XVCXXII, hier zitiert bei Rendenbach: Trierer Fehde, Anhang, S. 111/112.

[6]       Sturm: Warlicher Bericht, S. 6/7.  

[7]       Sturm: Warlicher Bericht, S. 11.  

Literatur und Quellen:

  • Die Flersheimer Chronik zur Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts zum ersten Mal nach vollständigen Handschriften hrsg. von Otto Waltz, Leipzig 1874.
  • Neugebauer, Anton: Franz heiss ich, Franz pleib ich. Die Nachwirkung Sickingens, in: Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, hrsg. v. d. Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE), Landesmuseum Mainz 21. Mai bis 25. Oktober 2015; Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Evangelisch-Theologische Fakultät, Prof. Dr. Wolfgang Breul, Regensburg 2015, S. 255-257.
  • Rendenbach, Karl H.: Die Fehde Franz von Sickingens gegen Trier (Historische Studien 1924), Berlin 1933. 
  • Scholzen, Reinhard: Franz von Sickingen. Ein adeliges Leben im Spannungsfeld zwischen Städten und Territorien (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 9), Kaiserslautern 1996.
  • Schauder, Karlheinz: Franz von Sickingen (Pfälzische Profile), Kaiserslautern 2006. 
  • Spalatin Georg: Georg Spalatins historischer Nachlaß und Briefe, hrsg. von Christian Gotthold Neudecker u. Ludwig Preller, Bd. 1: Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte, Jena 1851, S. 173-188.
  • Sturm, Caspar: Warlicher Bericht wie vo[n] den dreyen Churfürsten und Fürsten, nämlich Tryer, Pfaltz und Hessen weylandt Frantz von Sickingen überzoge[n]. Auch was sich im selbigen mit Eroberung seiner vnd anderer Schlösser/ vnd sunst von tag zu tag begeben. Durch den Erenhalten verzeychet, Johann Schöffer, Mainz 1523.
  • Ulmann, H.: Franz von Sickingen. Nach meistens ungedruckten Quellen, Leipzig 1872.

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