Vor 400 Jahren: Friedrich V. von der Pfalz wird zum „Winterkönig“ Böhmens gekrönt

Veröffentlicht am 5. November 2019
Anonym, Reiterbild Friedrichs V. als böhmischer König vor dem Hintergrund Prags, zeitgenössischer Stich, o.O., 1619/1620.
Anonym, Reiterbild Friedrichs V. als böhmischer König vor dem Hintergrund Prags, zeitgenössischer Stich, o.O., 1619/1620.

Als Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz im November 1619 in Prag die Wenzelskrone des Königreichs Böhmen empfing, mochte er sich fürs Erste auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Macht im Heiligen Römischen Reich wähnen. Gleichzeitig war es völlig klar, dass mit diesem Akt politisch alles für ihn auf dem Spiel stehen würde: die Zukunft seines Hauses, seiner Erblande, nicht zuletzt auch die seiner Religion. Erfüllt von Zweckoptimismus, calvinistischem Gottvertrauen und territorialer Ambition stufte der Fürst das Risiko jedoch als beherrschbar und einzugehen wert ein.                  

Ein neuer Kurfürst mit Potential

Als nach dem Tod seines Vaters und der anschließenden Vormundschaft Herzog Johanns II. von Pfalz-Zweibrücken der volljährige Friedrich V. 1614 schließlich auch realiter die kurpfälzische Regentschaft übernahm, hätten die strategischen Vorzeichen für ihn definitiv schlechter sein können: Am 26. August 1596 auf Schloss Deinschwang nahe Amberg als Sohn Kurfürst Friedrichs IV. und Louise Juliane von Oranien-Nassaus geboren, verfügte er neben seiner pfalzgräflichen Abkunft väterlicherseits mütterlicherseits auch über Verwandtschaftsbeziehungen in den französischen Hochadel hinein  – einer seiner Onkel war der Fürst von Sedan, Heinrich von Bouillon. An dessen Hof genoss der junge Prinz eine standesgemäße höfische Erziehung, die keinerlei Wünsche offen ließ. Ab 1604 hatte ihm der Theologe Daniel Tilenus auf ausdrückliches Geheiß seiner Eltern überdies eine umfassende Unterweisung im calvinistischen Bekenntnis angedeihen lassen. Verbesserte bereits eine Allianz mit England 1612 die territoriale Machtposition der Kurpfalz im Reich, folgte dem 1613 durch die Heirat des siebzehnjährigen Friedrich mit Elisabeth Stuart, Tochter König Jakobs I., ein veritabler diplomatischer Coup. Wenn auch der Heidelberger Oberrat und die Fürsten der Protestantischen Union diese dynastische Verbindung keineswegs vorbehaltlos begrüßten – man fürchtete verstärkte ausländische Einflussnahme auf die Innenpolitik der protestantischen Reichsstände – dürfte sie objektiv die bereits bestehende Führungsrolle der Kurpfalz innerhalb der Union weiter gestärkt haben. Auch auf kulturellem Terrain entwickelten sich die Dinge günstig, baute das junge Kurfürstenpaar doch seit 1614 seine Haupt- und Universitätsstadt Heidelberg zielstrebig zu einer barocken Musterresidenz aus (z.B. die begonnenen Arbeiten am repräsentativen Hortus Palatinus, dem „Pfälzischen Garten“ durch den Franzosen Salomon de  Caus). Auch wurde Friedrich V. 1614 sein erster Stammhalter, Prinz Friedrich Heinrich, geboren, das erste von insgesamt dreizehn Kindern, welche seiner Ehe mit Elisabeth entspringen sollten.

Reichspolitische Großwetterlage und Geheimdiplomatie

Die anfangs positive innenpolitische Entwicklung der ersten Herrschaftsjahre Friedrichs V. stand allerdings im klaren Kontrast zur  immer angespannteren außenpolitische Lage. Der für das Reich 1555 in Augsburg ausgehandelte Religionsfriede war spätestens nach 1600 sowohl durch die Ausbreitung des in seinem Vertragswerk „verfassungsrechtlich“ nicht berücksichtigten Calvinismus als auch durch die in den katholischen Territorien anlaufende Gegenreformation immer brüchiger, die konfessionellen Fronten immer verhärteter geworden. Diese Entwicklung zeigte sich u.a. in der illegalen Besetzung der lutherischen Reichsstadt Donauwörth durch Truppen des katholischen Herzogs Maximilian von Bayern 1607 oder dem 1609 bis 1614 schwelenden Jülich-Klevischen Erbfolgestreit – letzterer hätte das Reich und Mitteleuropa beinahe vorzeitig in einen folgenschweren Krieg gestürzt. In dieser ohnehin explosiven Gemengelage sollte dem Konflikt zwischen dem Haus Habsburg als Schutzmacht des Katholizismus und seinen überwiegend protestantischen böhmischen Kronlanden für die Kurpfalz entscheidende Bedeutung zukommen. Als sich 1618 der bereits von Krankheit gezeichnete Kaiser Matthias für die Nachfolge seines Vetters Ferdinand auf dem Thron aussprach, forderten die böhmischen Stände gemäß des von den Habsburgern 1609 gewährten „Majestätsbriefes“ für sich die freie Religionsausübung, Königswahl und Landtagseinberufung. Als diese Forderung in Wien ignoriert wurde und die von Ferdinand bereits in seinen Erblanden brutal durchgeführte Zwangskatholisierung seine künftige Politik klar zu Tage treten ließ, brach in Böhmen der Aufstand los.    

Am 23. Mai 1618 warfen wütende Ständevertreter die beiden kaiserlichen Statthalter nebst ihrem Sekretär aus dem Fenster des Prager Hradschin – dieser zweite Prager Fenstersturz und die durch  ihn ausgelösten militärischen Ausschreitungen gelten in der Forschung gemeinhin als Einstieg in den Dreißigjährigen Krieg. Als im März 1619 Kaiser Matthias schließlich starb, verweigerten die böhmischen Stände Ferdinand den Anspruch auf die Wenzelskrone und erklärten ihn für abgesetzt. Im Juli verabschiedete der Prager Landtag eine neue Ständeverfassung für das Königreich, auf dessen Agenda die Wahl eines neuen Monarchen fortan vorrangige Priorität erhielt. Nun trug die Geheimdiplomatie Früchte, welche die kurpfälzischen Repräsentanten höchstwahrscheinlich bereits seit November 1618 mit Billigung Friedrichs V. betrieben hatten. Hier sind der böhmische Gesandte Achatius von Dohna, vor allem aber Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg zu nennen, engster Berater Friedrichs und in Amberg residierender Statthalter der Oberpfalz. Mochte Friedrich auch keine komplette Marionette seines Vertrauten gewesen sein, war der politische Einfluss Christians doch erheblich. Positionierte er seinen Kurfürsten offiziell noch lange als Vermittler im Streit zwischen dem Kaiser und Böhmens Ständen, leistete er letzteren von Amberg aus bereits heimlich Militärhilfe und verhandelte mit ihnen über die Krönung eines neuen Monarchen. Dass hier irgendwann der Name Friedrichs V. in den Ring geworfen wurde, war nur eine Frage der Zeit.

Mitte August 1619 empfingen der Kurfürst und Christian von Anhalt eine Prager Delegation in Amberg, die Friedrich Böhmens Krone antrug. Dass eine positive Antwort auf jenes Gesuch sein Territorium in eine militärisch brandgefährliche Konfrontation mit dem mächtigen Kaiserhaus und dessen Verbündeten bringen würde, musste selbst dem den alltäglichen Niederungen der Tagespolitik oft fernen Kurfürsten klar sein. Sein Schwiegervater König Jakob machte keinen Hehl daraus, dass aus London keine Hilfe zu erwarten sein würde, die übrigen Fürsten der Protestantischen Union reagierten ebenso ablehnend und der Heidelberger Oberrat fand in seinem Gutachten mehr Argumente gegen als für die böhmische Kür. Nicht zuletzt Friedrichs katholischer Verwandter Herzog Maximilian von Bayern unterstrich seine Position per Brief unzweideutig:

Geschieht so wass [die Annahme der Wenzelskrone – C.D.], undt wollen Eur Lieben meinen guett gemainten rath nit annehmen, so thuet es mir Leidt deroselben sagen zu müessen, dass ich der Erste bin, der gegen die Böhmen undt Ihren unrechtmässigen König zu Veldte zieht […]

Kurfürstin Elisabeth bestärkte dagegen ihren Mann darin, die Krone zu nehmen und ganz besonders tat dies Christian von Anhalt. Mögliche Erklärungsmuster für dessen wahre Motive bleiben mangelnder oder noch nicht gesichteter Quellen wegen zugegebenermaßen Spekulation, seien hier aber hinsichtlich ihres hohen Wahrscheinlichkeitsgrads doch erlaubt. Demnach wäre bei dem streng calvinistischen Statthalter von einer Mischung aus konfessionellen und wirtschaftlich-militärischen Motiven auszugehen: hier der heilsgeschichtliche Kampf für das Reformiertentum, verwirklicht in der Eindämmung der katholischen Vormacht Habsburg in Mitteleuropa, dort die  greifbare Kontrolle über die gewinnträchtige, der Oberpfalz direkt benachbarte Zinnproduktion Böhmens – unter massiver Berücksichtigung eigener landesherrlicher Interessen. Wie dem auch sei, am Ende der Beratungen entschied sich Friedrich V. schließlich, das böhmische Angebot anzunehmen. Nach späteren halboffiziellen Briefäußerungen zu urteilen, hatte er die Argumentationslinie Fürst Christians übernommen – Stichworte: Eintritt für die protestantische Sache und Begrenzung der Kaisermacht. Höchstwahrscheinlich hoffte er auch, durch das Schaffen von Fakten England, die Vereinigten Niederlande und die übrigen Unionsfürsten auf seine Seite zu ziehen. Nach Friedrichs Zustimmung wählten ihn die böhmischen Stände am 27. August 1619 zu ihrem neuen König, genau einen Tag vor der Kaiserwahl Ferdinands II. in Frankfurt.  

Krönung und ungewisse Zukunft

Nachdem der kurfürstliche Hofstaat Anfang Oktober mit 568 Personen und stolzen 153 Gespannen nach Prag aufgebrochen war – in der Pfalz führte fortan wieder Administrator Johann von Zweibrücken die Regierungsgeschäfte – wurden einen Monat später politisch Nägel mit Köpfen gemacht. Am 4. November 1619 zog Friedrich V. in feierlicher Zeremonie zu seiner Krönung in den Veitsdom ein. Den zentralen Akt beschreibt eine zeitgenössische Flugschrift so:

Als man Ihr May[estät] ein Buch [die Heilige Schrift – C.D.] vorgehalten/ auff welches Sie zween Finger vnd den Herrn Ständen inn Böhemischer Sprach den gewöhnlichen Aydt/ welchen der Oberst Burggraf fürgelesen/ geleist vnd nach gesprochen/ als dann vor dem Altar gekniet/ da der Administrator ihr Majest[ät] mit Salben aus einem vergülden Büchßlein oberhalb der Stirn gleichsamb wie ein Creutz bestrichen/ vnnd H[err] Marschalck darauff das Schwerdt dem Administratori geben/ welcher es I[hrer] Majeest[ät] gelieffert/vnnd gesprochen: Per Dominum Nostrum Jesum Christum Amen.

Nach solchem den Scepter den Reichsapfell/ folgents ein Rothäublein/hernach die Cron daran Herr Burggraf Landhofmeister/ Land Cammerer vnd die anderen Priester mit zu grieffen ihrer Mayestät im Namen der H[eyligen] Treyfaltigkeit auff gesetzet/ hernach mit der Cron vnnd Scepter wider aus dem Stul bekleit […]

Anonym, Krönung Friedrichs V. von der Pfalz zum böhmischen König, zeitgenössischer Stich, o.O., 1619 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inv. Nr. IH 526)
Anonym, Krönung Friedrichs V. von der Pfalz zum böhmischen König, zeitgenössischer Stich, o.O., 1619 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inv. Nr. IH 526).

Diese Topnachricht der aktuellen Reichspolitik eröffnete umgehend die öffentliche Propagandaschlacht. So verhöhnten bald darauf die katholischen, pro-kaiserlichen Flugschriften Friedrich V. als „Winterkönig“ (Rex Hyemis), denn angesichts der absehbaren Mobilisierung der Truppen Ferdinands II. werde seine Herrschaft kaum mehr als einen Winter dauern. Dem antwortete die kurfürstliche Publizistik nicht minder vehement, dass ihr Herr viel Jahr Sommers und Winters Zeit über, durch Gottes sonderbare Allmacht, ein König in Böheimb seyn und verbleiben werde. Die nächsten Wochen und Monate würden zeigen, ob Friedrich diese Prognose letztlich einlösen konnte. In jedem Fall sah er sich als neuer Herrscher einer Herkulesaufgabe gegenüber – in einem fremdsprachigen Königreich, das um ein Vielfaches größer war als die Kurpfalz, mit dem Utraquismus mehrheitlich einem anderen protestantischen Glaubensbekenntnis anhing und einen äußerst machtbewussten wie streitbaren Adel beherbergte.

Die Fortsetzung folgt… im November 2020.                                     

Christian Decker


Literatur und Quellen:

  • Böhmischer Königlicher Einzug, welchen der Durchleuchtigste Großmächtigste Fürst vnd Herr/Herr Friderich der Erste diß Namens/ König in Böheimb/ Pfaltzgraf bey Rhein vnd Churfürst/ Hertzog in Bayrn/ Marggraf in Mährern/ Hertzog in Schlesien und Lützenburg […] zu Prag gehalten/ vnd darauff den 4. Novemb. Neuen Calenders daselbst/zum Böhmischen König/stattlich vnd herrlich gecrönt worden, Prag 1619, hier Zitat S. 7 – URL:   https://de.wikisource.org/wiki/Krönung_Friedrichs_von_der_Pfalz_zum_böhmischen_König (Digitalisat der Universitätsbibliothek Augsburg – Stand: 05.11. 2019)                    
  • Bilhöfer, Peter: „Außer Zweifel ein verständiger Herr und tapferer Kavalier“. Friedrich V. von der Pfalz – eine biographische Skizze, in: Wolf, Peter/Henker, Michael/Bockhoff, Evamaria u.a. (Hrsg.): Der Winterkönig – Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Augsburg 2003, S. 19-32.
  • Bilhöfer, Peter: Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der Winterkönig von Böhmen (1596-1532) (Rhein-Neckar-Kreis: Bausteine zur Kreisgeschichte 7), Heidelberg 2007.
  • Ebersbach, Volker: Christian I. von Anhalt-Bernburg und der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, in: Laschinger, Johannes (Hrsg.): Der Winterkönig. Königlicher Glanz in Amberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Amberg 1), Amberg 2004, S. 132-146.  
  • Friedrich V. (Pfalz) – URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_V._(Pfalz) – (Stand: 05.11.2019)  
  • Hepp, Frieder: Auf dem Gipfel der Macht: Die Residenzstadt Heidelberg unter Kurfürst Friedrich V., in: Laschinger, Johannes (Hrsg.): Der Winterkönig. Königlicher Glanz in Amberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Amberg 1), Amberg 2004, S. 74-84.
  • Hepp, Frieder: „Deß  gewesten Pfaltzgrafen Glück und Unglück“. Aufstieg und Fall des Winterkönigs im Spiegel der zeitgenössischen Flugblattpublizistik, in: Freese, Annette/Hepp, Frieder/Ludwig, Renate (Hrsg.): Der Winterkönig. Heidelberg zwischen höfischer Pracht und Dreißigjährigem Krieg, Remshalden 2004, S. 41-51, hier Flugschrift-Zitat, S. 48. 
  • Wolf, Peter: Der Griff nach der böhmischen Krone. Motive und Hintergründe, in: Laschinger, Johannes (Hrsg.): Der Winterkönig. Königlicher Glanz in Amberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Amberg 1), Amberg 2004, S. 85-101.

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