Vier Väter der Verfassung

Vor 60 Jahren: Parlamentarischer Rat erarbeitet Grundgesetz

Veröffentlicht am 10. Januar 2008
Porträtphotographie von Wilhelm Laforet, nur das Gesicht zu erkennen.
Wilhelm Laforet

Die Pfalz ist unter den Vätern und Müttern unserer Verfassung besonders stark repräsentiert. Als am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat in Bonn zusammentrat, um das Grundgesetz zu erarbeiten, waren vier gebürtige Pfälzer unter den 65 Mitgliedern: der 71 Jahre alte Wilhelm Laforet aus Edenkoben, der 60-jährige Anton Pfeiffer aus Rheinzabern, der 56 Jahre alte Friedrich Wilhelm Wagner aus Ludwigshafen und der ein Jahr jüngere Albert Finck aus Herxheim.

Laforet, Sohn eines Rotgerbers, hatte das Humanistische Gymnasium in Landau besucht und 1896 das Abitur abgelegt. Wie so manches Landeskind aus der damals bayerischen Pfalz, studierte und promovierte er an der Universität in München. 1908 trat er in den königlich-bayerischen Verwaltungsdienst ein. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil und wurde 1927 zum Professor des Staatsrechts an der Universität Würzburg berufen. Dieses Amt bekleidete er bis 1951. Seiner alten Heimat blieb er immer verbunden, sein Geburtshaus in der Edenkobener Weinstraße 81 war noch lange in seinem Besitz.

1945, nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs, zählte Laforet zu den Mitgründern der Christlich Sozialen Union (CSU) in Würzburg. Ab 1946 gehörte er dem Münchner Landtag an, der den ausgewiesenen Fachmann dann in den Parlamentarischen Rat entsandte. Hier galt er besonders als Verfechter einer föderalistischen Bundesordnung. Der katholische Hochschullehrer konzipierte auch das bayerische Gemeindegesetz. 1949 zog Dr. Wilhelm Laforet in den ersten Bundestag ein. Gestorben ist er 1959 in Würzburg.

Porträtphotographie von Anton Pfeiffer im Anzug mit Brille und Fliege.
Anton Pfeiffer

Anton Pfeiffer entstammte einer bekannten Pfälzer Familie. Als achtes von zwölf Kindern eines katholischen Schulleiters durchlief er das Gymnasium in Speyer und schrieb 1913 seine Dissertation in München über ein Thema der englischen Literatur. 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, stieß Pfeiffer zur Bayerischen Volkspartei und wurde deren Geschäftsführer. Der konservative Demokrat setzte sich kritisch mit dem aufkommenden Nationalsozialismus auseinander, klagte öffentlich dessen Kirchenfeindlichkeit und den Rassismus an. Als Abgeordneter prangerte er 1932 vor dem Landtag die „systematische Zersetzungsarbeit“ der Hitlerbewegung an. Nach deren Machtübernahme 1933 kam Pfeiffer für zehn Tage ins Gefängnis. Die Zeit des „Dritten Reiches“ überdauerte er als Lehrer.

Unbelastet durch den Nationalsozialismus, stieg der Pfälzer 1945 zur „grauen Eminenz der bayerischen Politik“ auf. Sprachgewandt und organisatorisch geschickt leitete er die Staatskanzlei, das Ministerium für Entnazifizierung und 1948 den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Im Parlamentarischen Rat in Bonn übernahm Pfeiffer den Vorsitz der Unionsfraktion und spielte also eine führende Rolle. Er wäre gerne Außenminister der neuen Bundesrepublik geworden, musste sich aber 1950 mit dem Posten eines Generalkonsuls in Brüssel begnügen. 1957 erlag er einer Herzschwäche.

Porträtphotographie von Friedrich Wilhelm Wagner im Anzug, mit randloser Brille und Halbglatze.
Friedrich Wilhelm Wagner

Der Sozialdemokrat Friedrich Wilhelm Wagner kam 1894 im Hemshof in Ludwigshafen zur Welt. Sein Vater, ehemaliger BASF-Arbeiter und Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts, ermöglichte ihm ein Jurastudium. 1922 ließ der junge Mann sich als Rechtsanwalt in Ludwigshafen nieder. Der begabte Redner avancierte 1927 zum Gauführer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in der Pfalz und rückte 1930 in den Berliner Reichstag nach. 1933 musste der SPD-Politiker emigrieren, zunächst in den Schweiz, dann nach Frankreich und schließlich über Spanien und Portugal nach Amerika. 1947 konnte Wagner in die Pfalz zurückkehren und seine Kanzlei wieder eröffnen. Der Jurist verteidigte den BASF-Industriellen Carl Wurster mit Erfolg im Prozess vor dem Nürnberger Militärgerichtshof. Im Parlamentarischen Rat setzte sich Wagner, seit 1947 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags, insbesondere für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Ab 1949 saß er dann im Bundestag. Auf der Bonner Bühne charakterisierte ihn sein Parteigenosse Carlo Schmid als „feurigsten Sprecher der SPD-Fraktion, immer auf dem Plan, wenn es galt, für demokratische Rechtsgarantien zu kämpfen und vermeintliche Angriffe von klerikaler Seite abzuwehren."  Daneben sei der Pfälzer Weinkenner ein „standhafter Zecher“ gewesen. 1961 wurde Friedrich Wilhelm Wagner zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufen. Der Ehrenbürger der Stadt Ludwigshafen starb 1971.

Porträtphotographie von Albert Finck, mit Hornbrille.
Albert Finck

 Albert Finck erblickte 1895 als jüngster Sohn einer kinderreichen Familie in Herxheim das Licht der Welt. Hineingeboren in ein katholisches Sozialmilieu, sollte er eigentlich Pfarrer werden. Er wohnte im Bischöflichen Konvikt in Speyer und besuchte das Gymnasium am Dom. Weil der Weltkrieg ausbrach, unterbrach er sein Studium in München, rückte mit 20 Jahren als Rekrut ein und kehrte Ende 1918 als Reserveoffizier zurück, um über die Lehre vom Naturrecht zu promovieren. Mit seinem älteren Bruder, Kaplan Johannes Finck, übernahm er 1921 in Ludwigshafen die Redaktion der neuen „Pfälzischen Landeszeitung“. Das Zentrumsblatt spielte im Kampf gegen den Separatismus eine Rolle. Albert Finck warb schon damals dafür, die „Erbfeindschaft“ zu überwinden: „Eine umfassende und ehrliche deutsch-französische Verständigung ist für beide Nationen eine politische Lebensnotwendigkeit.“

Finck war ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, die ihn mit Acht und Bann belegten. Mehrere Wochen musste er 1933 als politischer Häftling im Gefängnis zubringen. Seine Familie, die seit 1935 in Hambach lebte, ernährte er während der Diktatur mühsam als Versicherungsvertreter und Aushilfslehrer am Gymnasium in Neustadt. 1945 gehörte Finck zu den CDU-Gründern. Mit Dekan Johannes Finck aus Limburgerhof setzte er sich maßgeblich für den politischen Zusammenschluss evangelischer und katholischer Christen ein. Der „Mann der ersten Stunde“ schöpfte seine Kraft zeitlebens aus den Quellen des Glaubens, den er mit einer fröhlichen Liberalität zu leben wusste, wie eine Anekdote berichtet: Auf dem Weg zum Gottesdienst kam er manchmal nur bis zur Weinstube am Hambacher Schlossberg, pflegte dann freilich zu sagen: „Im Umkreis von 300 Metern gilt die Messe noch.“

Finck zählte zu den wenigen Abgeordneten im Parlamentarischen Rat, die vorher kein Mandat oder Ministeramt besessen hatten. Als die „Neue Zeitung“ alle Mitglieder auf einer Sonderseite und einem Motto vorstellte, legte er bezeichnenderweise ein Bekenntnis zur nationalen Einheit ab: „Wenn es nach mir geht, fassen wir vom Praktischen her energisch unsere Arbeit an, um möglichst rasch ein westdeutsches Staatsgebilde zu schaffen, das ein Vorläufer sein soll für das geeinte Deutschland.“

In der Hauptstadt-Frage votierte Finck für Bonn und gegen Frankfurt: „Bonn wird immer Provisorium bleiben und unsere eigentliche Hauptstadt Berlin nicht aus dem Auge verschwinden lassen, während Frankfurt was Endgültiges werden könnte“ sagte er seinen Gymnasiasten in Neustadt. Mit ihnen probte er Abstimmungen oder ließ sie die Verfassung des griechischen Staatsmanns Solon vergleichen mit Entwürfen für das Grundgesetz.

Energisch stritt Finck gegen die Wortführer des Liberalismus für das Elternrecht. „Vor Ihnen habe ich Angst, Herr Dehler!“, meinte er einmal ironisch, an den späteren FDP-Chef Thomas Dehler gerichtet. Das Vorrecht der Eltern auf die Erziehung, genauer auf eine konfessionelle Erziehung ihrer Kinder in der Schule, bildete einen Konfliktpunkt zwischen Union und FDP. Nachdem sein kompromissloser Fraktionskollege Adolf Süsterhenn durch einen Autounfall aus dem Rat ausgeschieden war, soll sich Finck mit Theodor Heuss bei einem guten Wein verständigt haben. Jedenfalls tauschte der Freidemokrat gerne Erinnerungen mit Finck aus, zumal die Mutter des Schwaben aus der Pfalz stammte.

Zum Gaudium der Kollegen rückte Heuss ihnen lyrisch zu Leibe. Er dichtete ein „ABC des Parlamentarischen Rates." Auf D wie Dehler folgte vor F wie Finck sinnigerweise ein Sprüchlein zu E wie Elternrecht. Heuss warnte darin den streitbaren Thomas Dehler:

„Das Elternrecht, Vermessener, rühr es doch nicht an,
ein ganzes Erzkapitel rückt heran,
und hinter ihm, elementar,
erregt, und schon erprobt, die alte Einsatzschar,
ergib dich, Elender, eh du verdammt,
dein kecker Kahn vom dunklen Schiff gerammt.“

Fincks Stärke erkannte Heuss in der Kombination von Religiosität und einer Leichtigkeit des Seins, ungeachtet der schweren Prüfungen im Laufe seines Lebens und einer daraus resultierenden inneren Ernsthaftigkeit, die Albert Finck nach außen mit viel Humor und Optimismus überstrahlte:

„Fidel und fromm – vielleicht das rheinische Glück!
Der frohe Finck besorgt die Pfälzer Beimusik.“

Albert Fincks große Stunde schlug erst nach der Unterschrift unter das Grundgesetz. Kurz vor der ersten Bundestagswahl 1949 kam Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rates und CDU-Vorsitzender der britischen Zone, in die Pfalz. Die Kundgebung in der Landauer Festhalle wurde für die rund 3000 Teilnehmer, darunter der 19 Jahre alte Helmut Kohl, ein politischer Ziehsohn der Finck-Brüder, zum unvergesslichen Erlebnis. Denn am Ende ergriff Albert Finck das Wort, verglich Konrad Adenauer als Architekten des neuen Deutschland mit Konrad II., dem Baumeister des Speyerer Domes, und fordert alle in dem überfüllten Saal auf, die dritte Strophe des Deutschlandliedes anzustimmen. Während die französischen Besatzungsoffiziere die Halle unter Protest verließen, sangen die Menschen von „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Adenauer erkannte an den Reaktionen, dass Finck den richtigen Ton getroffen hatte. Der Paukenschlag war generalstabsmäßig vorbereitet. Auf dem Programmzettel stand der Text der dritten Strophe zu lesen, damit niemand aus alter Gewohnheit „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt“ intonierte. Dieser Worte wegen war das „Lied der Deutschen“ von den alliierten Siegermächten verboten.

Am 18. April 1950 wiederholte der Bundeskanzler in Berlin den Coup á la Finck. Am Ende einer Rede im Titania-Palast forderte Adenauer die Gäste auf, die dritte Strophe anzustimmen. Wie Finck wollte Adenauer den Patriotismus sinnvoll kanalisieren. Doch Bundespräsident Heuss fühlte sich überfahren. Er hatte Bedenken gegen das Deutschlandlied und schlug eine neue Hymne vor, die allerdings wenig Anklang fand. Finck nahm weiter Einfluss auf die Debatte, zumal er 1951 Kultusminister von Rheinland-Pfalz wurde. Gleich nach Amtsbeginn empfahl er den Erziehern, das Deutschlandlied zu lehren. 1952 lenkte der Bundespräsident schließlich ein. Zufrieden kommentierte der Kultusminister, der 1956 im Amt starb, die historische Entscheidung:

„Ich für meinen Teil empfinde Genugtuung darüber, dass ich in diesem Sinne seit Jahren mitwirken konnte. Das Land Rheinland-Pfalz aber kann stolz darauf sein, dass von ihm aus die dritte Strophe des Deutschlandliedes, nachdem sie in den Städten und Dörfern unseres Landes zum ersten Male nach dem Kriege wieder erklungen ist, ihren Siegeszug in alle Länder der Bundesrepublik Deutschland angetreten hat.“

Dr. Theo Schwarzmüller


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