Friedrich Seitz

Vor 100 Jahren: Friedrich Seitz, der erste Pfarrer im KZ Dachau, wird geboren

Veröffentlicht am 10. Januar 2005
Porträtphotographie von Friedrich Seitz im Pfarrerhabit.
Friedrich Seitz

„Es war ein Schein aus blutrotem Papier.“

So beschrieb der im westpfälzischen Schallodenbach wirkende katholische Pfarrer Friedrich Seitz den Schutzhaftbefehl, der ihm am 7. Juni 1940 im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Neustadt an der Weinstraße ausgehändigt worden war. Eigenhändig unterschrieben von Reinhard Heydrich, Chef des berüchtigten Berliner Reichssicherheitshauptamtes, bedeutete dieses Papier für den erklärten Gegner des Nationalsozialismus fünf Jahre Konzentrationslager (KZ) Dachau.

Am 28. Januar 1905 in Mayen geboren, würde er jetzt seinen 100. Geburtstag feiern. Als erster reichsdeutscher katholischer Priester überhaupt wurde der spätere Dekan von Kaiserslautern am 11. Juni 1940 im KZ Dachau inhaftiert. Im so genannten „Priesterblock“ dieses Lagers marterte der nationalsozialistische Staat insgesamt 2.720 katholische Priester aus dem Deutschen Reich und den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten Europas. Neben Seitz erlitten aus der Diözese Speyer die Geistlichen Wilhelm Caroli (Rheingönheim), der in Dachau zu Tode kam, Josef Ludwig Bauer (Neustadt), Hermann Quack (Insheim) und Kaplan Heinz Römer dieses Schicksal. Insgesamt kostete die Haft im KZ Dachau 1.034 katholischen Pfarrern und Kaplänen wegen ihrer Opposition zum braunen Unrechtsregime das Leben. Dass er im Januar 1940 angeblich polnische Fremdarbeiter umliegender Bauernhöfe im Schallodenbacher Pfarrhaus verköstigt hat, brachte Friedrich Seitz ins Konzentrationslager. Der Mehlbacher NSDAP-Ortsgruppenleiter hatte ihn denunziert. Im Schutzhaftbefehl stand zu lesen: „Nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen hat der Geistliche Friedrich Seitz durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem er die im Verkehr mit Polen gebotene Zurückhaltung vermissen ließ, das gesunde Volksempfinden gröblichst verletzt.“

Die Konfrontation Seitz‘, der nach Abitur in Saarbrücken und Studium in München am 1. Juli 1928 in Speyer zum Priester geweiht worden war, mit dem nationalsozialistischen Staat setzte unmittelbar nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 ein. Hitler-Jugend und SA in der Rosenstadt Zweibrücken durchsuchten sofort das Pfarrhaus, wo nach ersten Kaplansstationen in Meckenheim, Edenkoben und Herxheim Seitz als Kaplan wirkte. Das Mitglied des Zentrums, er absolvierte nach eigenen Angaben 1928 für diese Partei in Contwig einen Wahlkampfauftritt, wurde im Juni 1933 in die Pfarrei St. Hildegard im saarländischen St. Ingbert versetzt. In dem damals vom Völkerbund verwalteten Saarland, das dem Zugriff der nationalsozialistischen Organe entzogen war, setzte sich Seitz öffentlich für einen Verbleib unter Verwaltung des Völkerbundes ein. Darüber, dem so genannten Status quo, oder ob das Saarland wieder in das Deutsche Reich eingegliedert werden soll, hatte die Bevölkerung zwischen Blies und Saar 1935 zu entscheiden. Von St. Ingbert versetzte Bischof Ludwig Sebastian dann den jungen Kaplan Mitte Juli 1934 nach Ludwigshafen an die Pfarrei St. Dreifaltigkeit. Hier geriet der 29-Jährige sofort wieder ins Visier der Gestapo. Seitz zerriss während einer Pfarrfamilienfeier demonstrativ ein Exemplar der SS-Zeitung, das „Schwarze Korps“. Dafür wurde er mit einem Religionsunterrichtsverbot belegt. Der junge Priester bewarb sich daraufhin als Pfarrverweser an die westpfälzische Pfarrei Schallodenbach, wohin ihn der Bischof im Dezember 1936 versetzte – und die er ein Jahr später offiziell als Pfarrer übernahm.

Der Konflikt zwischen dem nationalsozialistischen Staat und Friedrich Seitz schwelte jedoch weiter. Zwischen 1937 und 1940 denunzierten ihn Informanten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aus Schallodenbach und Umgebung kontinuierlich. Folgender „Delikte“ soll sich Seitz dabei in den Augen der Machthaber schuldig gemacht haben: Er habe staatsabträglich gepredigt oder regimekritische Hirtenbriefe zitiert und verlesen. Er habe gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule und die Abschaffung der Konfessionsschule gewettert, aus Protest dagegen das Glockengeläut verweigert. Er habe im schulischen Religionsunterricht nicht die Hand zum Hitlergruß erhoben. Er habe außerhalb der Schule Religionsunterricht erteilt. Er habe eine nicht genehmigte Prozession abgehalten. Er habe unerlaubte Leseempfehlungen für Katholiken in seiner Predigt abgegeben. Er habe zu Fronleichnam verbotenerweise die Schallodenbacher Pfarrkirche beflaggt. Er habe die Schallodenbacher aufgefordert, am Dreifaltigkeitssonntag die Feldkreuze der Flur zu schmücken. Und er habe sich geweigert, am Kartoffelkäfersuchtag der Nationalsozialisten teilzunehmen, wofür Friedrich Seitz eine Reichsmark Strafe berappen musste. Schließlich eskalierte der Konflikt, trat Seitz den Weg ins KZ Dachau an.

Häftlingsabzeichen des KZ Dachau mit zwei roten Dreiecken.
Abzeichen KZ Dachau

Das fünfjährige Märtyrium in Dachau, davon einige Monate im Steinbruch des KZ Mauthausen/Gusen, hat Friedrich Seitz ausführlich in einer achtteiligen Artikelserie der katholischen Speyerer Bistumszeitung „Der Pilger“ mit Titel „Priester in Dachau“ beschrieben. Diese erschien zwischen Januar und April 1946. Harte Arbeit, körperliche Strafen, vierteljährliche Todesselektion, permanente psychische Belastungen, ein rüder antiklerikaler Umgangston der SS, die auf infame und zynische Weise die verschiedenen Häftlingsgruppen gegeneinander auszuspielen versuchte, unzumutbare Lagerbedingungen und ungenügende medizinische Versorgung schilderte Seitz auf bedrückende Weise. Während seiner KZ-Haft gelang es allerdings dem Priester, der auch als Pförtner im Krankenrevier Dachau abkommandiert war, seine seelsorgerliche Arbeit an den Gefangenen fortzusetzen. Er hörte Beichte oder versah die Sterbenden mit der letzten Ölung, baute ein informelles Netzwerk von Hilfen für andere Gefangene auf. In Nachrufen zu seinem Tod wurde er dafür von einer österreichischen Zeitung „Heldenpriester“ genannt.

Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann Friedrich Seitz mit der Aufarbeitung der Geschichte des nationalsozialistischen Gewaltregimes. Zum Beispiel öffentlich in einer Predigt am 29. Juni 1945 in St. Ingbert. Dort kennzeichnete er die nationalsozialistische Ideologie als totalitäres Heidentum, das sich durch Verletzung der Menschenrechte von Freiheit und Leben, Verachtung alles Religiösen und Missachtung von Ehe und Familie auszeichnete. Das System der Konzentrationslager definierte Seitz als „Kulturstätten des Heidentums, wie es sich in der Praxis auf kleinstem Raum auswirkt und betätigt“. Der katholische Pfarrer forderte, alle Verantwortlichen in der NSDAP für ihre Untaten verantwortlich zu machen, „angefangen von der höchsten Spitze der Reichsregierung bis hinunter zur kleinsten Zelle“, lehnte aber gleichzeitig eine Kollektivschuld der Deutschen ab.

Und Seitz wies im Sommer 1945 alle Versuche zurück, die heute unter dem Namen „Auschwitzlüge“ verhandelt werden. Mutig predigte er über das System der Konzentrationslager:

„Das sind keine Märchen, das ist keine Propaganda, das ist die Wahrheit, und wer heut‘ das nicht glaubt, oh ich wünschte ihm, er habe es nur für einige Tage miterlebt. Ich stehe hier und gebe davon Zeugnis. Ein Adolf Hitler sagte einst: ‚Alles, was in Deutschland geschieht, dafür bin ich verantwortlich‘. Er war unterrichtet und alles war von oben geduldet. Und wäre unter uns einer, der heute noch diese Sachen entschuldigt, auch hier in dem schwarzen St. Ingbert, der gehört auch in die Reihe dieser Mörder.“

Johannes Seibel


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