Paul W. Massing

Vor 100 Jahren: Renommierter Soziologe wird im pfälzischen Grumbach geboren

Veröffentlicht am 10. Januar 2002
Porträtphotographie von Paul W. Massing im Anzug, vor dem Kinn die Hände zusammengefaltet.
Paul Wilhelm Massing

Einer der renommiertesten deutschen Soziologen, die in der NS-Zeit zur Flucht nach Übersee gezwungen wurden, war der aus dem westpfälzischen Grumbach stammende Paul Wilhelm Massing. Hier wurde er am 30. August 1902 als viertes Kind des Katasterkontrolleurs Wilhelm Ludwig Massing und seiner Frau Clara, geb. Fischer geboren. Er besuchte die Volksschule seines Heimatortes, anschließend die Lateinschule in Meisenheim und trat 1919 in das Staatliche Realgymnasium in Bad Kreuznach ein, wo er 1923 die Reifeprüfung ablegte. Nach einjähriger Lehrzeit in einer Fabrik in Köln-Nippes und dem Besuch der Handelshochschule in Köln studierte Massing anschließend Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Handelshochschule in Frankfurt am Main. 1926 absolvierte er die Prüfungen als Diplom-Kaufmann und als Volkswirt. Ein Jahr später studierte er für ein Semester an der Sorbonne und bereitete in Paris seine Dissertation über “Die Agrarverhältnisse Frankreichs im 19. Jahrundert und das Agrarprogramm der französischen sozialistischen Parteien” vor, mit der er 1928 bei Professor Dr. W. Gerloff an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt am Main zum Dr. rer. pol. promovierte.

Danach begab sich Massing nach Moskau, wo er bis 1931 am Internationalen Agrarischen Institut arbeitete. Nach Deutschland zurückgekehrt, war er von 1931 bis 1933 Mitarbeiter der KPD in Berlin. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet. Nach fünfmonatiger Einzelhaft in Oranienburg verfasste Massing seinen autobiographischen Roman “Schutzhäftling 880”, den er 1935 unter dem Pseudonym Karl Billinger veröffentlichte und den er den Kameraden in den deutschen Konzentrationslagern widmete. Bald nachdem er durch eine Amnestie freigekommen war, floh er mit einem Besuchervisum über Paris in die Vereinigten Staaten, um einer erneuten Verhaftung zu entgehen. Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete er weiter im Untergrund, doch “die Enttäuschung über die großen russischen Schauprozesse”, so schrieb seine Witwe später, “führte zu einem dramatischen Bruch mit dem russischen Kommunismus, in dem er ursprünglich die einzige Alternative zu Hitler gesehen hatte.”

Nun emigrierte er endgültig in die USA und lebte zunächst in Pennsylvanien, wo er “mit den Kenntnissen und der Geschicklichkeit, die er in seiner Jugend in seinem Pfälzer Heimatdorf erworben hatte” (Herta Herzog-Massing), ein altes Bauernhaus restaurierte.

In den USA entstand 1939 sein Werk “Hitler is no Fool”. Darin belegte Massing anhand von Zitaten aus “Mein Kampf”, dass Hitler kein “Fool” (Narr) sei, den man nicht ernst zu nehmen braucht, wie viele Amerikaner angenommen hatten. 1942 wurde Paul W. Massing wissenschaftlicher Mitarbeiter am “Institute of Social Research”, dem vormaligen Institut für Sozialforschung an der Columbia University in New York. Ab 1948 lehrte er mit großem Engagement politische Soziologie an der angesehenen Rutgers University in New Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey. Bei seinen Studenten erfreute sich Paul W. Massing großer Beliebtheit, so dass sie ihn anlässlich seiner Emeritierung 1967 zum “Mann des Jahres” wählten.

Das wohl bedeutendste Werk Massings, “Rehearsal for Destruction: A Study of Political Antisemitism in Imperial Germany”, erschien 1949 in New York. Unter dem Titel “Vorgeschichte des politischen Antisemitismus” ist das Buch 1959 mit einem Vorwort von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno erstmals in Deutschland erschienen. Darin belegt der Autor, dass Hitler nicht “wie ein Dschingis Khan in das Weimarer Deutschland eingebrochen” sei. Massing, so schreiben Horkheimer und Adorno, “zeigt an den geschichtlichen Tatsachen mit großer Evidenz, dass im Bismarckschen Deutschland der Antisemitismus politisch manipuliert und, je nach der Forderung des Tages der damaligen Interessen, an- oder abgestellt wurde.”

Die Verbindung zu seiner Heimat hat Paul Massing nie verloren. Nach dem Tod seiner Schwester Erna im Jahr 1971 übernahm er das elterliche Haus in Grumbach und ließ es gründlich renovieren. 1977 erkrankte Paul Massing schwer, verbrachte mehrere Monate im Krankenhaus in Meisenheim und kam 1978 in ein Altersheim nach Tübingen, wo er am 30. April 1979 verstarb. Seine letzte Ruhestätte fand er, wie vor ihm seine Eltern und seine Schwestern, auf dem Grumbacher Friedhof. Unvollendet blieb sein letztes Werk: die Analyse der historischen Entwicklung der Sozialstruktur seines Heimatortes Grumbach.

Roland Paul


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